Picasso und die Moderne

Picasso und die Moderne
Picasso und die Moderne
 
Nachdem Picasso mit seinen Gemälden, Skulpturen und Collagen die Revolution des Kubismus heraufbeschworen hatte, wandte er sich erstaunlich schnell wieder der traditionellen Malerei zu. Akte und Figurenbilder in ungewöhnlich prallen Formen leiteten in den Zwanzigerjahren eine »klassizistische« Rückwendung in Picassos Werk ein: Unter dem Schlachtruf »Zurück zur Ordnung« - so lautete der Titel einer 1926 erschienenen Sammlung von Aufsätzen von Jean Cocteau - besann man sich in diesen Jahren auf Gesetzmäßigkeiten und Ordnungsprinzipien in Literatur, Theater, Musik, Malerei und Architektur. Zur gleichen Zeit gab es aber auch eine mächtige Gegenströmung, die den Traum, das Unbewusste, die hermetische Metapher betonte und vom Dadaismus zum Surrealismus führte. Kurzfristig geriet auch Picasso in diesen Sog: 1925 stellte er auf der ersten Ausstellung der Surrealisten in Paris neue Bilder mit monströsen Figuren aus, deren Formen trotz »klassischer« Bildkomposition und kräftigem Volumen aus der Welt der Insekten abgeleitet scheinen.
 
Während Picassos malerisches Werk in den Dreißigerjahren relativ langsam wuchs, entstand eine Reihe bedeutender plastischer Arbeiten - etwa Assemblagen aus Fundstücken oder Drahtplastiken, die großen Einfluss auf die Plastik des 20. Jahrhunderts haben sollten. Mit den neuen figürlichen und surrealen Elementen verschmolzen, brach sich der Kubismus in einem Schlüsselbild des 20. Jahrhunderts wieder Bahn, dem 1937 gemalten »Guernica«, einer machtvollen Anklage gegen Faschismus und Krieg, die Picasso im Auftrag der republikanischen Regierung für den spanischen Pavillon der Weltausstellung in Paris schuf.
 
Ein Jahr zuvor hatte der Kunsthistoriker Alfred Barr in einer epochalen Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art den Kubismus als Wiege der modernen Kunst dargestellt. Kein anderer Künstler war so berufen, dies zu beweisen, wie der »Erfinder« des Kubismus selbst. Picasso malte bis zu seinem Tod 1973 zwar in ständig wechselnden Stilen, er verlor den Kubismus aber nie ganz aus den Augen. In den Fünfzigerjahren entstand eine Bildserie nach klassischen Meisterwerke von Delacroix, Velázquez und Manet, in denen die kubistische Deformation und eine kräftige Farbigkeit den Ernst der klassischen Themen zu satirischen Paraphrasen bricht. An diesen Bildern holten sich ganze Generationen von Malern, bei denen das Handwerk der Malerei noch vor der Erfindung neuer Themen und Techniken rangierte, eine Fülle von Anregungen. In seinem Spätwerk zelebrierte Picasso - inzwischen selbst eine Ikone der modernen Kunst - Malen als vitale, sich stets erneuernde Kraft, als Ausdruck einer persönlich erkämpften Freiheit, des individuell verwirklichten Traums von erfüllter Arbeit, permanentem Erfolg und nie versiegender Schaffenskraft.
 
Dr. Hajo Düchting
 
 
Kunst des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Ingo F. Walther. 2 Bände. Köln u. a. 1998.
 Thomas, Karin: Bis heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. Köln 101998.

Universal-Lexikon. 2012.

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